Der einzige Mut, der wirklich zählt, ist
der, der dich von einem Augenblick zum nächsten bringt.
~ Mignon McLaughlin
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Ich fühlte mich wie eine tickende Zeitbombe, kurz vor dem großen
Knall - überrollt von C.´s Emotionen. Ihre Gedanken kreisten
nur noch um ihre schlimmsten Erinnerungen der Vergangenheit. Sie steigerte
sich mehr und mehr hinein, wurde unruhiger und wirkte zusehends bedrohlich.
Sie schien völlig aus dem Gleichgewicht geraten und nicht mehr
sie selbst. Unerreichbar.
Ausser mir war niemand
in der Nähe und es war spät nachts. Früher hätte
ich Angst bekommen und - vielleicht - den Notruf gewählt. Dieses
Mal huschte zwar diese Möglichkeit kurz durch meinen Kopf. Aber
dann entschied ich mich, es zumindest erstmal auf "meine Art"
zu versuchen. Während ich C. beobachtete, begann ich - von ihr
unbemerkt - bewußt zu atmen. Ich mußte meine Aufmerksamkeit
also etwas strecken, und mich nicht ablenken lassen. Aber schon sehr
bald merkte ich, dass es die richtige Entscheidung war. Denn erstens
kam ich sofort wieder mit mir selbst in Verbindung, was mir half,
die explosiven Emotionen durch mich durchgehen zu lassen - anstatt
mich weiter attackiert und ausgeliefert zu fühlen. Und zweitens
atmete ich still mit der einfachen Frage:
Was soll ich
jetzt tun - was muß ich jetzt wissen?
Es
dauerte nicht lange bis ich ein Bild von der Antwort innerlich vor
mir sah: Den Kontakt zu C. wieder finden und ihre Aufmerksamkeit ablenken
- hin zu etwas, was ihr augenblicklich gut tut.
Bevor ich mir zu viele Gedanken über das "wie" machen
konnte, lud ich sie still ein, mit mir zurück zu kommen. Hier
her, wo wir uns grade befanden - in der Gegenwart - nicht in der Vergangenheit.
Dann fand ich auch wieder Worte, mit denen ich sie erreichen konnte:
Niemand war aktuell
da, der das befürchtete Horrorzenario hätte auslösen
können. Niemand hatte ihren "Anfall" mitbekommen. Nur
sie und ich und die stille Nacht war da. Daran gab es keinen Zweifel
- auch nicht für sie. Wir befanden uns in ihrer Wohnung, mit
allem, was man zum Leben braucht. Dieser Moment war gut und sicher
und neu. Und der nächste kann genauso werden, und der nächste
auch - wenn sie sich daran erinnert, dass aktuell wirklich keine Gefahr
droht. Darauf lässt sich eine schöne Zukunft bauen. -
C. wurde ruhiger
und fand scheinbar recht schnell wieder zu sich selbst. Ich fühlte
mich zwar erleichtert, war aber nicht sicher, ob noch etwas kommt.
Als C. aber wenig später aufstand, um Tee zu kochen, konnte ich
endlich beruhigt aufatmen: Die Episode war beendet. Oder doch noch
nicht? C. hatte Angst, dass sie eines Tages wieder von ihren Gedanken
gepeinigt werden könnte, und dann allein - hilflos ausgeliefert
ist.
"Du kannst
wählen, ob du dich furchterregenden oder friedlichen Gedanken
hingeben willst", sagte ich zu ihr. Das wies sie vehement zurück,
weil sie glaubte, dafür zu schwach zu sein. Ohne lange zu überlegen
nahm ich das komische Bild, das in dem Moment in mir aufstieg: "Das
ist genauso einfach wie wenn du dich zwischen Erdbeer- oder Vanille-Eis
entscheiden sollst". Ok - manchmal ist auch das schon schwer
genug ;-) Aber um was es im Grunde ging wurde ihr schnell klar, und
das hatte sich sofort in ihr verankert. - Als
jetzt ihre Augen kaum wahrnehmbar blitzten und ein Lächeln über
ihr Gesicht flog wußte ich: Die Episode ist vorbei. Nun können
wir beruhigt schlafen gehen.
Obwohl sie seitdem
allein auf sich gestellt war, und die schrecklichen Erinnerungen von
Zeit zu Zeit wieder aufsteigen: C. erinnert sich jetzt immer an die
Entscheidung zwischen Erdbeer- oder Vanille-Eis. Und für sie
funktioniert es bis heute.
Es war das erste Mal, dass ich diese "Methode" unter so
extremen Bedingungen unversehens anwenden konnte. Aus menschlicher
Sicht hätte ich gut darauf verzichten können. Aber im Nachhinein
bin ich dankbar für die Erfahrung, weil sie mein Vertrauen ein
weiteres Mal gestärkt hat. Dennoch: Jede Situation ist wieder
neu und erfordert andere Antworten. Deshalb ist das Einzige, was im
Moment zählt die Präsenz - wenn auch nur von einem der Anwesenden.